Kommentar |
Der moderne Medienbegriff ist wesentlich mit dem Begriff der ›Technosphäre‹ verbunden, insofern in der ›Technik‹ Zweck und Mittel geschieden werden. Musikalisch ist der Medienbegriff recht offensichtlich zunächst mit der Vermittlungsfunktion eines jeden Musikinstruments assoziiert, mit dem musikalischen Text bzw. der Notation, ebenso mit akustischem Aufnahme- und Wiedergabeequipment etc. Weiter gefasst greift der Medienbegriff generell auf die Sphäre musikalischer Performanz aus: die Musiker*in auf der Bühne oder im Aufnahmestudio ist im umfassenden Sinn ein Medium. Zudem ist der Medien- bzw. Technikbegriff untrennbar mit dem Begriff ›Arbeit‹ – diesen überhöhend mit der Vorstellung bürgerlicher Leistungsorientierung und mit dem Produkt bzw. dem ›Werk‹ – verbunden. Künstlerisch verwirklicht sich dieser Leistungsgedanke über das Medium ›Form‹.
Heinrich von Kleist haderte mit dem Verhältnis von Mitteilung und Medium bzw. »Form«, wobei er letztere als »notwendige[n] Übelstand« in Kauf nahm: »Nur weil der Gedanke, um zu erscheinen, wie jene flüchtigen, undarstellbaren, chemischen Stoffe, mit etwas Gröberem, Körperlichen, verbunden sein muß: nur darum bediene ich mich, wenn ich mich […] mitteilen will […] der Rede. Sprache, Rhythmus, Wohlklang usw., und so reizend diese Dinge auch, insofern sie den Geist einhüllen, sein mögen, so sind sie doch an und für sich […] nichts, als ein wahrer, obschon natürlicher und notwendiger Übelstand; und die Kunst kann, in bezug auf sie, auf nichts gehen, als sie möglichst verschwinden zu machen. Ich bemühe mich aus meinen besten Kräften, dem Ausdruck Klarheit, dem Versbau Bedeutung, dem Klang der Worte Anmut und Leben zu geben: aber bloß, damit diese Dinge gar nicht, vielmehr einzig und allein der Gedanke, den sie einschließen, erscheine« (‚Brief eines Dichters an einen Anderen‘). Knapper ließe sich formulieren: Das Signifikat braucht den Signifikanten. Und es lässt sich, auf den musikalischen Fokus übertragen, fragen: ist der Signifikant für die Komponist*in lediglich ein notwendiges Mittel zum Zweck? Oder ist er situativ auch in sich selbst Zweck? Oder ist er umgehbar?
Spannend dann die Überlegung, inwiefern musikformal/formalmusikalisch mit Marshall McLuhan zwischen Medium und Botschaft (nicht) zu unterscheiden sein könnte. Spannend ebenso jene zur Stellung des Erzeugers: Im Verhältnis Signifikat – Signifikant kann auch das ›erleidende‹ Einbezogensein der Urheber*in (der Autor*in bzw. ggf. der Komponist*in) eingeordnet werden: Im Sinne Roland Barthes’ heißt – wiederum ein literarischer Fokus – ›modernes‹ Schreiben: »sich zum Zentrum des Redevorgangs machen, das Schreiben vollziehen und sich selbst in Mitleidenschaft ziehen, Aktion und Affekt zur Deckung bringen, den Schreibenden [...] als Agens der Aktion innerhalb des Schreibens belassen« (‚Schreiben, ein intransitives Verb?‘). Grundlage ist die ›Diathese‹ bzw. das Genus verbi ›Medium‹. Musikalisch übertragen ließe sich die Frage nach der ›Mitleidenschaft‹ der Komponist*in, in zweiter Linie der ausführenden Musiker*in(nen) stellen.
Von den Masterstudierenden wird die Bereitschaft erwartet, exemplarische Musik-›Werke‹ bis in den Bestand bzw. die musikalische Praxis der Gegenwartsmusik unter einem medienkulturellen Aspekt zu prüfen und dabei flankierend auch parallele Erwägungen der Literaturwissenschaft einzubeziehen. |
Literatur |
Barthes, Roland: Schreiben, ein intransitives Verb?, in: Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte, hrsg. v. Sandro Zanetti, Berlin: Suhrkamp 2012, S. 240–250. Bolz, Norbert: Theorie der neuen Medien, München: Raben 1990. Campe, Rüdiger: Die Schreibszene. Schreiben, in: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, hrsg. v. Hans Ulrich Gumbrecht u. K. Ludwig Pfeiffer, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 759–772. Dahlhaus, Carl: Allgemeine Theorie der Musik I. Historik – Grundlagen der Musik – Ästhetik, hrsg. v. Hermann Danuser in Verb. mit Hans-Joachim Hinrichsen u. Tobias Plebuch (= Gesammelte Schriften 1), Laaber: Laaber 2000 (Kapitel: Was ist eine musikalische Gattung?; Das musikalische Kunstwerk als Gegenstand der Soziologie; Was ist eine musikalische Tatsache?; Zur Theorie der musikalischen Gattungen; Emanzipation der Instrumentalmusik). Faltin, Peter: Phänomenologie der musikalischen Form. Eine experimentalpsychologogische Untersuchung zur Wahrnehmung des musikalischen Materials und der musikalischen Syntax, Wiesbaden: Steiner 1979. Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992. Giese, Detlef/Kaden, Christian/Brachmann, Jan: Art. ‚Zeichen‘, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart: Bärenreiter u.a. 2016ff., zuerst veröffentlicht 1998, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/13727 (abgerufen am 10. Februar 2023). Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, K. Ludwig (Hrsg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt a. M.: Suhrkamp (2)1995. Haug, Andreas: Die prekäre Textlichkeit der Musik: Zur Genealogie eines modernen Problems, in: Prädikation und Bedeutung, hrsg. v. Andreas Kablitz, Christoph Markschies u. Peter Strohschneider, Berlin u. Boston: De Gruyter 2021, S. 1–50. Hörisch, Jochen: Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien, Frankfurt a. M.: Eichborn. Kammertöns, Christoph: Sprachperformative Paradoxie in Rainald Goetz’ Abfall für alle, in: recenseo – Texte zu Kunst und Philosophie 2021 (https://doi.org/10.18445/20220823-235839-0). Kleist, Heinrich von: Brief eines Dichters an einen Anderen, in: https://www.projekt-gutenberg.org/kleist/aufsatz/chap013.html (abgerufen am 10. Februar 2023). Kühn, Clemens: Art. ‚Form‘, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart: Bärenreiter u.a. 2016ff., veröffentlicht August 2021, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/396389 (abgerufen am 10. Februar 2023). McLuhan, Marshall: Understanding Media – the Extensions of Man, Cambridge (Mass.) u. London: MIT Press 1994. Möller, Hartmut: Art. ‚Notation, Einleitung‘, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart: Bärenreiter u.a. 2016ff., zuerst veröffentlicht 1997, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/11423 (abgerufen am 10. Februar 2023). Pfeiffer, K. Ludwig: Das Mediale und das Musikalische, in: Historische Musikwissenschaft. Grundlagen und Perspektiven, hrsg. v. Michele Calella u. Nikolaus Urbanek, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2013, S. 429–440. Schatt, Peter W.: Treffpunkt Form: Musikalische Lebenswelt in einer Orientierung, fünf Annäherungen und einem Ausblick, in: Form und Kultur. Studien zur musikalischen Bildung, hrsg. v. dems., Essen: Die Blaue Eule, S. 63–118. Schneider, Reinhard: Semiotik der Musik, München: Fink 1980. Storr, Anthony: Music and the Mind, London: Ballantine Books 1992. Waldenfels, Bernhard: Sinne und Künste im Wechselspiel. Modi ästhetischer Erfahrung, Berlin: Suhrkamp 2010 Wilke, Jürgen: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, Köln: Böhlau 2000. |