Zur Seitennavigation oder mit Tastenkombination für den accesskey-Taste und Taste 1 
Zum Seiteninhalt oder mit Tastenkombination für den accesskey und Taste 2 
Startseite    Anmelden     
Logout in [min] [minutetext]

AS Musikwissenschaft zwischen Werkästhetik und Dekonstruktion des "Abendlands" - Einzelansicht

Grunddaten
Veranstaltungsart Seminar Langtext
Veranstaltungsnummer Kurztext AS
Semester WiSe 2023/24 SWS 2
Erwartete Teilnehmer/-innen Max. Teilnehmer/-innen 18
Rhythmus jedes Semester Studienjahr
Credits Ohne Prüfung: 2 CP/Mit Prüfung: 2+ bis zu 6 CP - kann je nach Studiengang/Studienrichtung abweichen (siehe Modulbeschreibung) Belegung Belegpflicht
Hyperlink  
Belegungsfrist Anmeldefrist MuWi 25.09.2023 - 15.10.2023

Belegpflicht
Termine Gruppe: [unbenannt] iCalendar Export für Outlook
  Tag Zeit Rhythmus Dauer Raum Raum-
plan
Lehrperson Status Bemerkung fällt aus am Max. Teilnehmer/-innen
Einzeltermine anzeigen
iCalendar Export für Outlook
Do. 17:00 bis 19:00 woch von 19.10.2023  Gebäude_e - e_1.15         18
Gruppe [unbenannt]:
 


Zugeordnete Person
Zugeordnete Person Zuständigkeit
Kammertöns, Christoph , Dr.
Zuordnung zu Einrichtungen
Fachbereich Musik
Fachbereich Musikvermittlung
Musikwissenschaftliches Institut
Inhalt
Kommentar

Wenn Hans Heinrich Eggebrecht noch im letzten Dezennium vor der Jahrtausendwende ein Buch mit dem Titel »Musik im Abendland« (1991) veröffentlichte, dann mag sich hier spät eine geradezu trotzige Gewissheit der Selbstverortung zeigen, die die Musikwissenschaft seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts lange geprägt hatte. Als akademische Disziplin blickt die Musikwissenschaft bis in die Antike auf Entwicklungsstränge zurück, die als europäisch zentriert zu verstehen sind und die nach dem Aufkommen der Schriftlichkeit bzw. der Musiknotation zunehmend durch eine ›Werk‹-Apologie geprägt wurden. Diese ist etwa am Beispiel Beethovens gekennzeichnet durch den Wert der »Arbeit« anstelle eines »Wertes ›von Natur‹« (Adorno) bzw. durch den Einschluss des »Formprozesses« als »ausschlaggebende Instanz« (Dahlhaus), die im fixierten und reproduzierbaren Werk eines spezialbefähigten Komponisten mündet.

Das spezifisch ›Abendländische‹ ist hier mit den Worten Eggebrechts gesprochen die »Rationalität« – mit den »Kennzeichen: Theorie, Notation, Komposition, Geschichtlichkeit und Transportabilität«. Es erscheint nicht ganz glaubwürdig, dass es Eggebrecht hier »nicht um Wertungen« gegenüber anders verorteter Musik geht. Noch unbekümmerter konnte Walter Abendroth 1959 in seiner »Kleinen Geschichte der Musik« den Fokus klären, indem wir, »wenn wir von Musikgeschichte reden, vernünftigerweise nur die uns einzig überschaubare Musikkultur des christlichen Abendlandes im Auge haben können«, deren Merkmal »die Identität von Form und Inhalt« ist. Die Gewissheit zerfällt allerdings, wenn man mit Michael Wolffsohn feststellt, »der Begriff ›christliches Abendland‹« sei »geistiger Müll« (FAZ vom 03.04.2018).

Dass der Begriff ›Abendland‹ auch in Bezug auf die Musik(wissenschaft) eine geradezu toxische Qualität bekommen konnte, lässt sich mit den angeführten Beispielen bereits illustrieren. Selbst für einen explizit außereuropäischen Fokus der Musikethnologie bzw. Ethnomusikologie ist zu hinterfragen, inwiefern eine werkästhetische europäische Perspektive zur (wertenden) Vergleichsfolie gewählt wurde. Noch 2006 urteilt Martin Geck in seinem Büchlein »Wenn Papageno für Elise einen Feuervogel fängt« recht gönnerhaft: »In weit größerem Maße als bei uns ist die Musik der Naturvölker körperzentriert. Beim Singen legt man gern eine Hand an Schläfe, Ohr, Wange oder Hals, um den Klang der Stimmer zu ändern oder ihr Vibrieren zu unterstützen. […] Freilich gibt es auch bei Naturvölkern musikalische Tätigkeiten, die Spezialisten vorbehalten sind.«

‚Freilich‘ ist ein so grobes (implizit: logozentriertes) ›Wir‹ gegen die (implizit: sinnlich-primitiven) ›Anderen‹ in der Musikwissenschaft, ist somit »die Teilung des Fachs Musikwissenschaft in ›the West‹ und ›the rest‹« und das damit verbundene »›Othering‹ mit dem Resultat der Hierarchisierung« (Abels) nicht mehr salonfähig. »Die Angriffe auf die globale Dominanz eines Werkkanons mit Bach und Beethoven im Zentrum werden immer heftiger«, urteilt Christiane Wiesenfeldt 2021 in der FAZ und präzisiert: »[…] die Musik von Bach und Beethoven« werde »immer öfter zum Synonym von Verdrängung, zum Stellvertreter von Rassismus und zum klingenden Denkmal repressiver Geschichte erklärt«.

Im Seminar gilt es, einen Konstruktionsprozess musikwissenschaftlicher Selbstverortung und dessen Dekonstruktion mit der Möglichkeit einer Neukonstruktion bzw. Neuverortung nachzuvollziehen und – auch in Reflexion der eigenen Haltung – zu prüfen. ›Dekonstruktion‹ als in der Musikwissenschaft zum Teil bereits vollzogene, vor allem im (post)strukturalistischen Sinn als unabschließbar fortwährend zu vollziehende Form der Kritikmöglichkeit überkommener, beharrender Selbstverortungen wird dabei in einer umfassenden Bedeutungsbreite ein Leitbegriff sein. Von den Studierenden wird entsprechend erwartet, sich auch mit einem flankierenden philosophischen Angang vertraut zu machen. Ebenso wird erwartet, musikwissenschaftliche Positionsbestimmungen der letzten Jahrzehnte zur Kenntnis zu nehmen und diese kritisch zueinander ins Verhältnis zu setzen.

Literatur

Lektüreempfehlungen zur Vorbereitung:

Abels, Birgit: Wer doch Ohren hat zu hören. Zum gegenwärtigen Perspektivenreichtum in der kulturwissenschaftlich orientierten Wissenschaft von den Musiken der Welt, in: Die Musikforschung, 69. Jg., 2016, H. 2, S. 125–132.

Abendroth, Walter: Kleine Geschichte der Musik, Frankfurt a. M. 1959.

Adler, Guido: Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 1 (1885), S. 5–20.

Adorno, Theodor W.: Beethoven. Philosophie der Musik, Frankfurt a. M. 1993.

Auhagen, Wolfgang/Busch, Veronika/Hemming, Jan (Hrsg.): Systematische Musikwissenschaft. Ziele – Methoden – Geschichte, Laaber 2012.

Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, ausgewählt von Siegfried Unseld, Frankfurt a. M. 1977, S. 136–169.

Calella, Michele/Urbanek, Nikolaus (Hrsg.): Historische Musikwissenschaft. Grundlagen und Perspektiven, Stuttgart u. Weimar 2013.

Caputo, John D. Deconstruction in a Nutshell. A Conversation with Jacques Derrida, New York 1997.

Dahlhaus, Carl: Musikwissenschaft und Systematische Musikwissenschaft, in: Ders.: Allgemeine Theorie der Musik II (= Gesammelte Schriften 2), hrsg. v. H. Danuser, Laaber 2001, S. 604–630.

Eggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland. Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1991.

Finscher, Ludwig: »Diversi diversa orant«. Bemerkungen zur Lage der deutschen Musikwissenschaft, in: Archiv für Musikwissenschaft 57 (2000), S. 10–17.

Geck, Martin: Die kürzeste Geschichte der Musik, Stuttgart 2020 (Wenn Papageno für Elise einen Feuervogel fängt, Berlin 2006).

Gerhard, Anselm (Hrsg.): Musikwissenschaft – eine verspätete Disziplin? Die akademische Musikforschung zwischen Fortschrittsglauben und Modernitätsverweigerung, Stuttgart u. Weimar 2000.

Hentschel, Frank: Historische Musikwissenschaft: Gegenstand – Geschichte – Methodik, Laaber 2019.

Lütteken, Laurenz (Hrsg.): Musikwissenschaft. Eine Positionsbestimmung, Kassel. u.a. 2007.

Neumann, Gerhard (Hrsg.): Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, Stuttgart 1997.

Potter, Pamela: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reiches, Stuttgart 2000.

Riemann, Hugo: Grundriß der Musikwissenschaft, Leipzig (2)1914.

Röd, Wolfgang: Der Strukturalismus in Wissenschaft und Philosophie, in: Geschichte der Philosophie, Bd. 14, hrsg. von dems. u. W.K. Essler, München 2019, S. 58–74.

Rösing, Helmut/Petersen, Peter: Orientierung Musikwissenschaft. Was sie kann, was sie will, Reinbek 2000.

Wald-Fuhrmann, Melanie/Keym, Stefan (Hrsg.): Wege zur Musikwissenschaft. Gründungsphasen im internationalen Vergleich, Kassel u.a. 2018.

Wiesenfeldt, Christiane: Identitätspolitik und Kanon. Ist klassische Musik kolonialistisch?, in: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/debatte-um-den-kanon-ist-klassische-musik-kolonialistisch-17314526.html, 27.04.2021 (abgerufen am 05.07.2023).

Bemerkung

AS/Kontexte


Leistungsnachweis

Bedingung für den Erwerb eines Beteiligungsnachweises:

Aktive Teilnahme, Bereitschaft zur Übernahme von Kurzreferaten einschließlich Handout und Powerpoint-Präsentation


Möglichkeiten und Bedingungen für eine Abschlussprüfung:

Klausur


Strukturbaum
Keine Einordnung ins Vorlesungsverzeichnis vorhanden. Veranstaltung ist aus dem Semester WiSe 2023/24 , Aktuelles Semester: SoSe 2025