„Kunst um der Kunst willen“, (L’ art pour l’art): Diese Forderung gilt seit dem frühen 19.Jahrhundert und bestimmt wohl auch in großem Maße die eigene Auffassung unseres musikalischen Tuns. Und doch ist nichts weniger zutreffend als diese: Gerade mit der Übernahme des musikalischen Handelns durch den Bürger und die Gesellschaft als Ganzes Anfang des 19. Jh. wird die Musik wahlweise zum Botschafter, zum politischen Aushängeschild, ja zum Manipulationsgegenstand, vor allem aber zum Gruppen bildenden und jeweils wieder unterscheidenden Element. Oper, Oratorium, Chormusik, Lieder: Sie alle tragen Botschaften, die jemand senden will, die gehört werden und beherzigt werden sollen. Gesangbücher etwa sind von Anfang an theologisch-weltanschauliche Propangandamittel, Verdis Opern Bekenntnisse zum neuentstehenden Nationalstaat. Tanz- oder Marschmusik beeinflussen in sprachloser Weise. Rituale sind seit je ohne Musik undenkbar.
Musik wird schließlich nicht nur als Manipulations- sondern mehr und mehr als Machtmittel eingesetzt. Vollends deutlich werden diese Mechanismen in der rigiden Musikpolitik des Dritten Reiches, im Stalinismus oder in der stark geförderten Musikszene in der ehemaligen DDR. Paradoxerweise führt also diese Inanspruchnahme von Musik auch zu einem quantitativen Aufblühen musikalischer Produktion durch gezielte Aufträge, während andere Komponisten verfolgt werden, deren Äußerung nicht linienkonform ist.
Das Seminar will den vielfältigen Erscheinungsformen und Umsetzungen von Beeinflussung und in Dienstnahme nachgehen; sei es im Gottesdienst, im Arbeitersingverein oder in der Marschmusik, um nur einige mögliche Aspekte zu benennen. Und schließlich wollen wir uns der Frage stellen, was ein Verbot gemeinsamer Musikausübung wie ja aktuell erzwungen durch die Covidmaßnahmen für eine Gesellschaft bedeutet und was dadurch ggf. verändert und beeinflusst wird.
|